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„Freiwillige Feuerwehren Sachsen 2020“ - Ideen, Pro & Contra

von Sven Schimmel (Kommentare: 0)

Sven Schimmel
Sven Schimmel, stellv. Ortswehrleiter Lugau

LUGAU. Im Juni 2014 hat eine Arbeitsgruppe aus Sächsischem Innenministerium, Landesfeuerwehrverband, Sächsischem Städte- und Gemeindetag , Landesfeuerwehr- und Katastrophenschutzschule sowie dem Fraunhofer Institut für Verkehrs- und Infrastruktursysteme IVI ihren Abschlussbericht zum Thema „Freiwillige Feuerwehren 2020“ vorgelegt. Dieser soll Grundlage für die weitere Entwicklung des Feuerwehrwesens in Sachsen sein und wird zukünftig auch stärker in den Medien behandelt werden. So wird die Freie Presse in Kürze eine ganze Themenseite dazu veröffentlichen und hat schon jetzt sehr viel Material dazu gesammelt. FP-Redakteur Björn Josten sprach dazu auch mit unserem Kameraden Sven Schimmel, stellvertretender Ortswehrleiter in Lugau.

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Das gesamte Interview, was natürlich nicht gänzlich abgedruckt werden kann, hier zum Nachlesen:

Herr Schimmel, wie bewerten Sie die Ergebnisse des Abschlussberichtes „Freiwillige Feuerwehren Sachsen 2020“?

Zunächst einmal begrüße ich es ausdrücklich, dass eine solche Arbeitsgruppe überhaupt gebildet wurde, die sich mit den aktuellen Problemen der Freiwilligen Feuerwehren in Sachsen auseinandersetzt. Der Abschlussbericht liest sich vielversprechend, zeigt aber auch, dass unsere Region, also „nördlich der Autobahn“ im Erzgebirgskreis, schon viele der im Bericht enthaltenen Vorschläge umgesetzt hat. Dazu zähle ich Doppelmitgliedschaften, interkommunale Zusammenarbeit und teilweise Spezialisierung, Projekte zur Brandschutzerziehung in Schulen. Für die anderen Regionen kann ich nicht sprechen, da mir dazu genaue Informationen fehlen.

Ich sehe den Bericht allerdings immer noch nur als „Starthilfe“ in eine Zukunft mit Freiwilligen Feuerwehren und hoffe, dass der Freistaat Sachsen möglichst viele der sinnvollen Vorschläge umsetzen wird - sei es durch Gesetzesänderungen oder auch durch eine kräftige Steigerung bei den ausgereichten Fördermitteln. Und ich hoffe, dass über alle Vorschläge einmal lebhaft diskutiert wird - in den Feuerwehren, den Städten und Gemeinden, den Landratsämtern. Denn eine Bestandsaufnahme mit darauf aufbauenden Vorschlägen zur Zukunftsgestaltung auf Papier rettet die Freiwilligen Feuerwehren keinesfalls.

Welche Vorschläge hielten Sie auch für unsere Wehren für sinnvoll und warum?

Viele der aus meiner Sicht sinnvollen Vorschläge wurden bei uns bereits umgesetzt. Wir praktizieren Doppelmitgliedschaften, betreiben eine sehr aktive Öffentlichkeitsarbeit und Brandschutzerziehung, bilden nach einheitlichen Richtlinien aus oder arbeiten gemeindeübergreifend zusammen. Nur wenn die Bevölkerung die Feuerwehr als das akzeptiert, was sie ist und nur, wenn Kapazitäten gebündelt werden, ist heute noch eine erfolgreiche Feuerwehrarbeit möglich. Begrüßenswert ist auch eine Besserstellung der Jugendfeuerwehren als DIE Nachwuchsschmiede der Einsatzabteilungen. Selbst die Einführung der sogenannten „Feuerwehrrente“ könnte, sofern sie in das Bewusstsein der Menschen gerät, einmal als Anreiz für eine Mitarbeit in den Wehren verstanden werden.
Richtig ist im Bericht dargestellt, dass die Wehrleitungen von Verwaltungsarbeiten entlastet werden müssen. Darum kann ich Vorschläge, die auf eine Beschäftigung von Feuerwehrleuten in den Kommunen abzielen, nur begrüßen. Damit wären gleich mehrere Probleme gelöst: Verwaltungsarbeiten könnten in der Arbeitszeit erledigt werden und die Tageseinsatzbereitschaft wäre gesteigert. Voraussetzung wäre allerdings, dass Orts- oder Gemeindewehrleiter ihre gesetzlich geregelten unabhängigen Funktionen und Aufgaben auch genau so weiter ausführen können und eben nicht auf Rücksicht gegenüber der eigenen Anstellung oder dem eigenen Dienstherrn wichtige, auch unbequeme Fragen unter den Tisch fallen lassen. Diese Gefahr sehe ich aber. Unsere Wehrleitung in Lugau ist froh, in dieser Weise unabhängig und auch mal unbequem zu sein.

 

Gibt es unpraktikable Ideen in dem Bericht und wenn ja, welche und warum?

Die stärkere Einbeziehung von Berufs- oder Werkfeuerwehren ist aus meiner Sicht kaum zu realisieren. Besonders hier im ländlichen Raum wäre die Anrückezeit viel zu hoch und bedeutet auch im Umkehrschluss die Schwächung des Brandschutzes und der Hilfeleistung im eigenen Ausrückebereich. Sinnvoll ist dies nur bei bestimmten Lagen, wie Unfällen mit gefährlichen Stoffen und Gütern, Rettungen aus Höhen oder Tiefen oder „Massenanfall von Verletzten“, wo Spezialausrüstung oder Spezialkräfte gebraucht werden. Aber das wird ja bereits praktiziert.
Die Idee, die Feuerwehren mit einer App oder einer alternativen Alarmierungsmöglichkeit zu versorgen, ist zwar schön, kann aber nur ein Teil eines größeren Gefüges im digitalen Zeitalter sein. Wir haben Apps für Tablets oder Smartphones ausprobiert und verworfen, weil sie den praktischen Nutzen einfach nicht gebracht haben. Das geht bei der Erkennbarkeit auf dem Display bei hellem Licht los und hört bei der Bedienbarkeit bei Nässe auf. (Zentrale) Lösungen für eine EDV-gestützte Einsatzführung, die auf Laptops in Einsatzleitwagen laufen, halte ich darum für wesentlich besser und effizienter.

Auch die Idee, Arbeitgeber anzuschreiben und für eine Freistellung für Feuerwehreinsätze zu werben, ist nur halbherzig. Nicht berücksichtigt wurde dabei, dass viele Kommunen es sich finanziell gar nicht leisten können, die berechtigten und gesetzlich verankerten Lohnersatzforderungen der Unternehmen zu zahlen und darum nur auf die soziale Verantwortung der Unternehmen hoffen können, dass diese ihre Arbeitnehmer im Einsatzfall kostenfrei freistellen. Oft wird das sogar ganz untersagt.

Schließlich sei noch das Thema Doppelmitgliedschaft angesprochen. Im weitesten Sinne kann es zwar helfen, eine Tageseinsatzbereitschaft zu sichern, kann aber auch nur als ein Krückstock angesehen werden. Doppelmitgliedschaften bedeuten für den einzelnen Kameraden schließlich auch doppelte Belastungen. Zwar gelten überall die selben Vorschriften und Regelungen, doch muss sich der einzelne auch in die Eigenheiten der einzelnen Wehren einarbeiten und darin fortbilden. Bedeutet also auch doppelte Teilnahme an Ausbildungsdiensten und Übungen, denn überall stehen andere Fahrzeuge, die anders eingeräumt sind, deren Technik sich anders bedienen lässt oder auch ganz speziell ist.

 

Gibt es Dinge, die Ihnen in dem Bericht fehlen oder die zu kurz kommen?

Was unseren Freiwilligen Feuerwehren in der Region fehlt, sind Akzeptanz, Lobby, Transparenz und Verständnis. Damit meine ich nicht die Frage nach der Daseinsberechtigung, denn die steht überhaupt nicht zur Debatte, sondern die notwendige Schärfung des Bewusstseins in der Bevölkerung für die Arbeit in den Wehren. Die Freiwilligen Feuerwehren dürfen nicht mehr als Truppe bekannt sein, die gern mal ihre Autos lautstark durch den Ort fährt, hier und da mal „Krieg spielt“, nachts durch Sirene und Tatütata andere Leute aus dem Schlaf reißt, einmal im Jahr ihre Autos ausstellt und den Begriff des „Löschens“ anderweitig interpretiert. Meines Erachtens ist diese Problematik, die untrennbar mit dem Thema Mitgliedergewinnung verwoben ist, unzureichend beleuchtet. Sicher sind die Feuerwehrleute selbst die beste Werbung, wie im Papier vorgeschlagen. Sie können aber auch nur das weitergeben, was sie selbst wissen und erleben. Sie sind keine Marketingexperten oder „Headhunter“. Und die Definition einer gewollten „fähigen Einsatzkraft“ lässt jedem einen enormen Spielraum. Zwar sehe ich flächendeckende Werbeaktionen als sinnvolle Ergänzung zu den lokalen Maßnahmen. Dann aber bitte in Abstimmung mit den Feuerwehren. „Helden gesucht!“ war zwar eine öffentlichkeitswirksame Kampagne, allerdings mit dem sehr faden Beigeschmack, dass sich unsere Freiwilligen als Wichtigtuer oder Sensationshascher bezeichnet fühlten. Feuerwehrleute wollen keine „Helden“ sein, sondern sind Helfer in der Not und rücken nicht deswegen aus, um glänzend im Scheinwerferlicht zu stehen.

Leider war dazu das Werbeverhalten einzelner Parteien in Vorbereitung der Landtagswahl aus meiner Sicht vollkommen inakzeptabel und kontraproduktiv. Die Feuerwehren, im Allgemeinen alle Rettungs- und Hilfsdienste, müssen die unparteiischsten Einrichtungen überhaupt sein. Darum haben sich auch viele unserer Mitglieder beschwert, dass sie in Werbekampagnen von CDU und DIE LINKE vor den Karren gespannt wurden. Von solchen Aktionen müssen und wollen wir uns in aller Form distanzieren. Aus meiner Sicht ist ja schon die Zugehörigkeit eines Sozial- oder Hilfsdienstes zur Kirche sehr problematisch.

Zu kurz kommt mir auch die Betrachtung des Einsatzes neuer technischer Möglichkeiten. Eine Feuerwehr-App allein löscht kein Feuer, holt niemanden aus Fahrzeugwracks, entlastet nicht von Verwaltungsaufgaben. Die Feuerwehren, die jeweils auf eine der Zeit entsprechenden EDV-Technik drängen und dies auch gegenüber ihren Kommunen verteidigen, müssen sich ihre Einzelkomponenten momentan zusammensuchen oder selbst entwickeln. Wie wäre es denn mal mit einem einheitlichen Verwaltungssystem, woraus auch einmal die jährlichen „nervigen“ Statistiken generiert werden können - und zwar für alle Abteilungen? Damit könnte man sehr viel Verwaltungsarbeit sparen, viele Daten medienbruchfrei weiternutzen. Wie sieht es denn mit Aus- und Weiterbildungsangeboten auf Basis von eLearning aus? Könnten damit nicht Engpässe bei den Lehrgangsplätzen zumindest ein wenig kompensiert werden? Eine App kann meines Erachtens nur ein ganz kleiner Baustein in einem sinnvollen Gesamtgefüge sein.

 

Was müsste Ihres Erachtens im Sinne der Feuerwehr als erstes angegangen werden und warum?

Primäre Aufgabe muss die Gewinnung von qualifiziertem und qualitativem Nachwuchs sein. Und dabei spreche ich nicht nur von fachlicher Kompetenz, die kann man erwerben, sondern vor allem menschlichen und sozialen Eigenschaften. Lernbereitschaft, Teamfähigkeit, Hilfsbereitschaft und das Verstehen des Systems „Ehrenamt“ kommen bei vielen Menschen nur noch bedingt vor. Das merkt man leider auch in den Feuerwehren.
Wichtig ist auch die bessere finanzielle Ausstattung der Kommunen mit Mitteln, die sie in die Feuerwehrarbeit stecken können. Denn leider sind die meisten Kommunen dem nicht mehr gewachsen.

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